Ausgewählter Beitrag

3.4

Als ich die Klasse betrat, weinte Pascha bitterlich und um ihn herum standen tröstend die anderen Kinder und versuchten ihn zu beruhigen.

Es war eine dieser undurchsichtigen Situationen, in die man bei einem Lehrerwechsel zwischen zwei Stunden schnell gerät und in der man sich zunächst einen Überblick verschaffen muss.
Es schien niemand verletzt, wir konnten uns in den Kreis setzen und ein anderes Kind übernahm das Sprechen für Pascha:
"Pascha muss wegziehen!", sagte das Kind und streichelte Pascha tröstend über den Rücken.
"Pascha zieht um!"

Und ich saß da und konnte all die Flüche, die mir durch den Kopf gingen, nicht laut äußern.
Wir waren Paschas fünfte Schule.
Sollte nun die sechste Schule warten?

Die Klasse war in heller Aufruhr, alle bestürzt über Paschas Tränen. 
An schulisches Lernen war genau gar nicht zu denken. 

Wie so oft im schulischen Alltag blieb auch keine Zeit, mir nun eine pädagogisch wertvolle verbale Strategie zu überlegen.
In solchen Situationen redest Du einfach. Du sprichst nach Gefühl, denn Du musst sprechen.
Die Klasse wartete darauf, dass ich etwas sagte.
Und ich wartete darauf, dass mir etwas Sinnvolles, Richtiges, Wichtiges einfiel.

"Das ist aber eine Überraschung! Mama und Papa haben mir das noch gar nicht gesagt. Soll ich vielleicht erstmal mit Mama und Papa besprechen, was da los ist?"

Keine überragende pädagogische Glanzleistung, aber manchmal hilft schon eine ruhige Erwachsenenstimme. Das Gefühl, da ist jemand,
der wird es schon richten!

"Aber ich hab mich gerade an hier gewöhnt!", schluchzte Pascha und "ich arbeite hier doch auch mit!"
"Das machst du und du machst das großartig!", konnte ich bestätigen, "ich werde Mama und Papa gleich mal anrufen und versuche herauszufinden, was da los ist!"

Die restliche Stunde über sprachen wir über Umzüge, Neuanfänge, unterschiedliche Schulen, das Traurigsein und das Traurigseindürfen.
Erst anschließend konnte ich klären, was in Paschas Familie los war.
Eine Trennung. Nicht nur des Elternpaares, auch der gesamten Familie.
Mit Aufteilung der Kinder, Ortswechseln und vielen Unsicherheiten.

Wir hatten Glück. Pascha hatte Glück.
Er durfte bleiben.
Für eine kurze, weitere Weile.






schulbeherzt 14.10.2023, 09.53

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R.
Mir gefällt deine Art zu schreiben und die Sicht auf Schule und die Kinder. Ich lese gern weiter mit.
15.10.2023-8:38
Marie
Liebe Schulbeherzt,
ich bin zufällig hierher gekommen und habe mich festgelesen.
Danke, dass du so offen schreibst. Deine Texte haben mich sehr berührt.
14.10.2023-6:42
Susanne
Ich freue mich sehr, dass Du hier in meinem Blog gelandet bist. Viel Spaß beim Lesen!
12.10.2023-10:42
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